Selbst ist der Roboter
Vollautomatische Kommissionierung unbekannter Produkte aus Schüttgut
In der Intralogistik herrscht seit einigen Jahren ein regelrechter Robotik-Hype, sei es in Fachzeitschriften oder auf Messen. Meist handelt es sich um klassische Sechsachs-Knickarmroboter, die ihren Weg aus der Produktion in die Logistik suchen. Das Ziel: die vollautomatische Kleinteile-Kommissionierung. Haupttreiber dabei ist der Arbeitskräftemangel, die große Herausforderung nicht etwa eine technische Komponente wie der Roboter oder der Greifer, sondern die Gestaltung eines wirtschaftlichen Gesamtprozesses. Da Roboter nur einen Teil der Artikel in jedem Sortiment handhaben können, entstehen parallele Warenströme und somit mögliche Risiken im Hinblick auf Warenfluss, Bestände, Synchronisation und Konsolidierung.
Der Pick-Roboter "autopick" der psb intralogistics GmbH aus Pirmasens stellt sich dieser Herausforderung. Die vollautomatische Lösung für die Einzelstück-Kommissionierung besteht im Kern aus einem Roboter mit Greifer, dem IT-Netz der Gesamtanlage sowie einem leistungsstarken Bildverarbeitungssystem - bestückt mit zwei Ensenso 3D-Kameras der IDS Imaging Development Systems GmbH.
Anwendung
Das Vision-System fungiert als Auge des Roboters. Es erkennt greifbare Flächen auf den zu verarbeitenden Objekten im Quellbehälter und berechnet Greifpunkte und kollisionsfreie Bahnen für den Roboter. Dieser kann dadurch unbekannte Produkte direkt aus Schüttgut greifen und im Zielbehälter in dem Bereich mit der geringsten Befüllung ablegen. Vakuumsauger sorgen dabei für ein sanftes Fassen der jeweiligen Gegenstände. Ein vorheriges "Einlernen" (Teach-in) der einzelnen Produkte ist nicht notwendig. Egal, ob Medizinfläschchen oder Teepackung, der multifunktionale Greifer kann für eine große Artikelvielfalt mit unterschiedlichsten Verpackungseinheiten individuell ausgelegt werden. Das System lernt mit der Zeit, welcher der verschiedenen Griffe am besten für den jeweiligen Artikel funktioniert. Die erreichbare Pickleistung für eine prozesssichere Anlage ist stark von den Eigenschaften der Greifobjekte abhängig und bewegt sich zwischen 300 und 500 Teilen pro Stunde.
Zwei 3D-Kameras vom Typ Ensenso N35 liefern dem System die nötigen Bilddaten. Sie arbeiten nach dem „Projected Texture Stereo Vision“-Verfahren. Jedes Modell verwendet jeweils zwei CMOS-Sensoren sowie einen Projektor, der Hilfsstrukturen auf das aufzunehmende Objekt projiziert - auch bei schwierigen Lichtverhältnissen. Das Verfahren folgt damit dem Prinzip des räumlichen Sehens (Stereo Vision), das dem menschlichen Sehvermögen nachempfunden ist. Das Ergebnis ist eine 3D-Punktewolke als Grundlage für die benötigten räumlichen Objektinformationen.
Zur Einbindung der Kameras in autopick nutzte psb intralogistics das Ensenso SDK. Neben Wizards für ein einfaches Setup und zur Unterstützung der Kamerakalibrierung der 3D-Kameras beinhaltet es die Möglichkeit zur GPU-basierten Bildverarbeitung für eine noch schnellere 3D-Datenverarbeitung.
Außerdem ermöglicht es die in diesem Fall erforderliche Ausgabe einer einzigen 3D-Punktewolke aller im Mehrkamerabetrieb eingesetzten Kameras sowie die Live-Komposition der 3D-Punktwolken aus mehreren Blickrichtungen.
Die erste Kamera ist über der Quellkiste installiert, um diese als Kollisionsobjekt in der Bahnplanung des Roboterarms berücksichtigen zu können. Hier werden die unbekannten Teile präsentiert und die Punktewolke für die Griffpunktsuche erzeugt. Letzteres geschieht mithilfe der Software Mikado ARC (Adaptive Robot Control) von isys vision. Sie kombiniert die 3D-Stereovision-Kameratechnik von Ensenso mit einer leicht konfigurierbaren, adaptiven Robotersteuerung. Das Ergebnis ist eine vollständige 3D-Robot-Vision-Lösung für Bin Picking und Teile-Handling mit einem autonom arbeitenden Roboter, wie ihn autopick liefert. Statt vorgegebenen, eingelernten und fest definierten Bahnen zu folgen, orientiert er sich selbständig im Arbeitsraum und reagiert auf jede Situation.
Die zweite Kamera befindet sich über der Zielkiste. Hier werden freie Ablagepositionen gesucht. Zudem wird die Z-Höhe des Kisteninhaltes ermittelt, um diese bei der Bestimmung der Ablageposition berücksichtigen zu können. Entscheidend ist eine gleichmäßige Belegung der Zielkiste sowie ein sensitives Ablegen der Produkte. Letzteres ist insbesondere bei der Kommissionierung zerbrechlicher Teile von größter Wichtigkeit. Die Bildaufnahme erfolgt asynchron zum Verfahren des Roboters, um taktzeitoptimiert arbeiten zu können.
Wir haben uns für die Ensenso N35 aufgrund ihrer kompakten Bauweise und der hohen Punktwolkenqualität entschieden. Für das betrachtete Sichtfeld ist die N-Serie ideal.
"Die Konfiguration der Kamera kann einfach und präzise auf das jeweilige Produktportfolio abgestimmt, bzw. auch während des Prozesses angepasst werden", erklärt der Systemverantwortliche bei psb intralogistics. Über die Schnittstelle in das Lagerverwaltungssystem werden Griffinformationen und Kommissionieraufträge ausgetauscht.
Ausblick
Der Onlinehandel hat weiterhin ein starkes Wachstum vor sich. Dabei wird der E-Commerce-Sektor immer härter umkämpft. Innovative Intralogistik-Technologien sind deshalb oft notwendig, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Gleichzeitig hat kaum ein Wirtschaftssektor derzeit so sehr mit dem Mangel an geeignetem Nachwuchs zu kämpfen, wie die Logistik. Der wirtschaftliche Nutzen von Kommissionier-Robotern ist deshalb so hoch, dass sie mittel- bis langfristig ihren festen Platz in der Kommissionierung haben werden. Die dahinterstehenden Lösungen mit künstlicher Intelligenz werden neben dem Greifen auch noch andere Herausforderungen zu meistern lernen - selbständig oder auch kollaborativ in der Zusammenarbeit mit Menschen, zuverlässig und präzise. Bildverarbeitung u.a. mit 3D-Kameras sorgt dabei für den entscheidenden Durchblick sowie die nötige Sicherheit.
(Urheber aller Bilder: psb intralogistics GmbH)
Ensenso N35 - 3D-Vision, schnell und präzise
- Mit GigE Schnittstelle – universell und flexibel einsetzbar
- Kompaktes, robustes Aluminiumgehäuse
- IP65/67
- Global-Shutter CMOS-Sensoren und Musterprojektor, wahlweise blaue oder Infrarot-LEDs
- Max. fps (3D): 10 (2x Binning: 30) und 64 Disparitätsstufen
- Max. fps (offline processing): 30 (2x Binning: 70) und 64 Disparitätsstufen
- Konzipiert für Arbeitsabstände bis 3000 mm (N35) und variable Bildfelder
- Ausgabe einer einzigen 3D-Punktewolke aller im Mehrkamerabetrieb eingesetzten Kameras
- Live-Komposition der 3D-Punktwolken aus mehreren Blickrichtungen
- Integrierte FlexView Technik für eine noch höhere Genauigkeit der Punktwolke und Robustheit der 3D Daten von schwierigen Oberflächen
- "Projected Texture Stereo Vision“-Verfahren für Aufnahmen texturloser Oberflächen
Kunde
Die psb intralogistics GmbH plant und realisiert Gesamtsysteme für den Materialfluss und die Lagerung innerhalb von Unternehmen in Produktion und Distribution und hat sich in seiner über hundertdreißigjährigen Geschichte zu einem der führenden Unternehmen der Intralogistik-Branche in Europa entwickelt. Die für jeden Kunden maßgeschneiderten Lösungen übertreffen hinsichtlich Effizienz und Wirtschaftlichkeit deutlich Logistiksysteme »von der Stange«.
https://www.psb-gmbh.de