Historische Textilien im Fokus

Neue Ansätze zur Erforschung schädigender Umwelteinflüsse auf textile Artefakte mit Bildverarbeitung

Präventive Konservierung spielt bei der Erhaltung von Kunst- und Kulturgütern eine wichtige Rolle. Um ihren authentischen Zustand möglichst langfristig zu bewahren ist es unerlässlich, Alterungsprozesse zu verlangsamen und materialverändernde Faktoren zu bewerten. Dafür gilt es, das Artefakt ganzheitlich zu erfassen und zu verstehen. Natur- und kulturwissenschaftliche Methoden zum Verständnis des Materialverhaltens bilden dabei wichtige Parameter, die eine interdisziplinäre Herangehensweise erfordern. Textilien zählen zu den empfindlichsten Kunst- und Kulturgütern. Im Laufe ihrer Herstellung und Handhabung, ihrer Präsentation und Aufbewahrung sind sie oftmals Einflüssen ausgesetzt, die sich schädigend auf ihr Material auswirken können. Das französische Start-up Unternehmen S-MA-C-H hat sich im Rahmen eines Forschungsprojektes mit dem Wandteppich von Bayeux befasst und unter Einbeziehung von IDS Kameras ein System entwickelt, das wertvolle Erkenntnisse für eine konservatorisch optimale Erhaltung und Präsentation dieses empfindlichen und außergewöhnlichen Artefakts liefert. Das Fachwissen von Restauratoren, kombiniert mit modernster Technologie, hilft dabei, möglicherweise schädigende Faktoren frühzeitig zu erkennen, zu minimieren oder bestenfalls ganz auszuschließen.

Konzipiert wurde das System für eine umfassende Studie, die sich mit dem mechanischen Verhalten des Wandteppichs von Bayeux befasst - beauftragt und finanziert durch das Regionalbüro für kulturelle Angelegenheiten der Normandie. "Wir haben unsere Expertise im Maschinenbau eingebracht, indem wir die Belastung und Beanspruchung des Gobelins in vollem Umfang überwacht haben. Neben dem Monitoring haben wir bei der Erarbeitung von Konservierungslösungen geholfen. Es ging dabei um die Einstufung und Beurteilung von Gefährdungsgrad und Empfindlichkeit des Wandteppichs in dem ihn umgebenden Raumklima", erklärt Cécilia Gauvin, Mitbegründerin und Geschäftsführerin von S-MA-C-H. Ein multidisziplinäres Team aus Textil- und Präventivrestauratoren sowie Denkmalpflegern hat die Reaktion des Artefakts auf entsprechende Umweltschwankungen charakterisiert. "Das Projekt befasste sich mit zwei wesentlichen Fragen: Welches sind die optimalen Parameter für eine Präsentation auf schrägen Trägern und wie reagiert der Wandteppich auf sein Mikroklima?"

Um diese Fragen beantworten zu können, wurde der Wandteppich von Temperatur- und Luftfeuchtigkeitssensoren sowie von Kraftsensoren zur Erfassung des Gravitationsdrucks überwacht. Herz und Hirn des Systems: eine berührungslose 2D-Vollfeld-Digital Image Correlation (DIC), bestehend aus einer IDS Kamera sowie einer eigens entwickelten Software zur digitalen Bildkorrelation.

Eine Kalibrierplatte dient zur Berechnung der 2D-Position der Kamera in Bezug auf das Objekt und zur Korrektur jeglicher Art von Verzerrung durch Kamera und Objektiv.

"Digitale Bildkorrelation ist ein Bildverarbeitungsverfahren, mit dem Bewegungen und Verformungen von Objekten analysiert werden können. Hierzu werden hochauflösende Bilder von der Oberfläche des Objekts aufgenommen und anschließend mit Hilfe von Software-Algorithmen ausgewertet, um Änderungen in Form, Position oder Größe des Objektes zu erfassen", erklärt Patrick Schick, IDS Product Marketing Manager. Auf der Suche nach dem passenden Kameramodell für das System waren vor allem Parameter wie Schnittstelle, Sensor und Preis-Leistungsverhältnis ausschlaggebend. "Für die Analyse der Tapisserie sind extrem hochauflösende Aufnahmen mit geringem Bildrauschen zur Erfassung kleinster Details erforderlich." Die eingesetzte USB 3 uEye CP erfüllt diese Anforderungen dank des besonders lichtempfindlichen Rolling Shutter CMOS Sensors IMX183 aus der STARVIS-Reihe von Sony. Dieser sorgt mit BSI-Technologie ("back-side-illumination") auch unter schwierigen Lichtverhältnissen für eine herausragende Bildqualität. "Die Kamera ist damit ideal geeignet für anspruchsvolle Bildauswertungen wie diesem Monitoring, das aus konservatorischen Gründen bei schwachem Licht stattfindet. Die USB3 Vision-Kamera nimmt dabei über einen längeren Zeitraum hochauflösende Bilder in sehr geringer Frequenz auf", ergänzt Patrick Schick. Für das Forschungsprojekt lief das Monitoring beispielsweise einen Monat lang rund um die Uhr, mit nur einer Bildaufnahme pro Stunde.

Das Python Interface der IDS peak API ermöglichte uns, schnell und einfach eine Software zu entwickeln, um die Kamera zu parametrisieren und Bilder zu erfassen.

— Cécilia Gauvin, Mitbegründerin und Geschäftsführerin von S-MA-C-H —

Die Aufnahmen werden anschließend mit DEFTAC3D, einer vom französischen Pprime-Institut eigens zur digitalen Bildkorrelation entwickelten Software, verarbeitet. Daraus resultieren vollflächige Messdaten der Objektoberfläche, die auf Tausenden von 2D- oder 3D-Koordinaten mit sehr hoher Auflösung basieren. Die Verschiebung der Bildpunkte innerhalb des Untersuchungszeitraumes wird als Deformation interpretiert, die auf eine mechanische Belastung oder Beanspruchung des Objekts zurückzuführen ist. Anhand der Ergebnisse werden Vollfeld-Dehnungskarten sowie Verformungskarten erstellt. Vollfeld-Dehnungskarten veranschaulichen die Dehnungen in einem Material über die gesamte Oberfläche. Sie zeigen also, ob und wie sich der Wandteppich insgesamt verformt hat. Verformungskarten hingegen geben Auskunft über die lokalen Verformungen in einem Material. Sie liefern den Mitarbeitern von S-MA-CH Informationen darüber, ob und wie sich die Tapisserie an bestimmten Punkten verformt hat.

Die Vollfeld-Dehnungskarten werden zusammen mit den Erkenntnissen über die Umweltschwankungen verarbeitet, um das hygromechanische Verhalten des Wandteppichs von Bayeux zu verstehen. Das hygromechanische Verhalten bezieht sich dabei auf das Wechselspiel zwischen Feuchtigkeit und den mechanischen Eigenschaften der Textilie. Dies kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden, darunter die Art des Garns, aus dem das Gewebe gefertigt wurde, sowie die Art der Web- oder Sticktechnik, mit der die Tapisserie hergestellt wurde, was zur Komplexität der Untersuchung beiträgt.

Um wissenschaftliche Daten in den Entscheidungsprozess einfließen zu lassen, wurden Tests sowohl an Faksimiles als auch am Wandteppich selbst durchgeführt. An den Faksimiles wurden die Vollfeld-Dehnungskarten mit den Spannungsergebnissen aus der Messung des Kraftsensors sowie den Klimamessungen (Temperatur und Luftfeuchtigkeit) kombiniert. Die Ergebnisse ermöglichen Rückschlüsse auf die Klimaregulierung zur optimalen Aufbewahrung des Artefaktes.

Die von den Sensoren und dem Kamerasystem erfassten Daten wurden in Echtzeit dokumentiert, um langfristige Trends zu analysieren. Mithilfe der bereitgestellten Informationen kann sichergestellt werden, dass die klimatischen Bedingungen im Bayeux-Museum innerhalb der optimalen Grenzwerte liegen, um Schäden an empfindlichen Kunstgegenständen oder historischen Exponaten, wie der Tapisserie von Bayeux, zu vermeiden.

Ausblick

Der Markt zum Schutz und für den Erhalt des kulturellen Erbes öffnet sich langsam für strukturelle Diagnoseverfahren. "Unser Ziel ist es, entsprechende Systeme für Konservatoren in einem Plug-and-Play-System zu entwickeln", erklärt Cécilia Gauvin. Darüber hinaus will das französische Startup künftig mithilfe von Vision-Systemen strukturelle Schädigungen von Gemälden in Museumsgalerien und historischen Denkmälern überwachen. Dieser Ansatz über die Disziplinen hinweg ermöglicht es, den Zustand von Exponaten so umfassend zu beurteilen, dass die entsprechenden konservatorischen Maßnahmen ergriffen werden können. "Unsere Kenntnisse aus dem Maschinenbau, in Kombination mit industrieller Bildverarbeitung, eröffnen neue Herangehensweisen, erweitern das Handlungsspektrum und bringen innovative Lösungen hervor."

Eine auf diesen interdisziplinären Forschungsergebnissen basierende Ausarbeitung der konservatorischen Bedingungen zu Handhabung, Aufbewahrung oder Präsentation von Artefakten bietet Schutz vor weiterem Schaden. Historische wie auch moderne Erzeugnisse der Textilkunst lassen sich so auch für die Zukunft bestmöglich erhalten. Bildverarbeitungskomponenten leisten hierfür einen wertvollen Beitrag.

Der Wandteppich von Bayeux ist eine in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstandene Stickarbeit auf einem rund 52 Zentimeter hohen Tuchstreifen. Die in Bild und Text auf 68 Metern in 58 Einzelszenen dargestellte Eroberung Englands gilt wegen seiner Fülle an detaillierten Einzeldarstellungen, der durchdachten Ikonographie und der handwerklichen Qualität als eines der bemerkenswertesten Bilddenkmäler des Hochmittelalters. Trotz seines Namens ist der Wandteppich von Bayeux eigentlich kein Teppich, sondern eine erzählende Stickerei. Sie besteht aus Bildern und Textinschriften und umfasst neun miteinander verbundene Leinenbahnen. Da der Teppich trotz seines Alters außergewöhnlich gut erhalten ist, zählt der Wandteppich von Bayeux seit 2007 zum "Mémoire du Monde" (Weltdokumentenerbe) der UNESCO.

Ein paar Zahlen zur Tapisserie

  • 68 Meter lang
  • 52 cm hoch
  • 9 Bahnen aus gewebtem Leinenstoff
  • 4 Nahtstellen
  • 10 Farben Wollgarn
  • 58 Einzelszenen
  • 623 Menschen
  • 202 Pferde
  • 55 Hunde
  • 505 andere Tiere
  • 27 Gebäude
  • 41 Schiffe und Boote
  • 49 Bäume

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